Zwei gehörlose Personen gebärden vor dem Hamburger Stadtwappen auf rotem Hintergrund.

Hamburg erkennt Versagen gegenüber Gehörlosen an – Aufarbeitung, Entschädigung und bessere Unterstützung im Fokus

Gesellschaft & Inklusion Politik

Die Hamburgische Bürgerschaft hat in ihrer Sitzung am 16. Juli 2025 ein wichtiges Signal gesetzt: Sie entschuldigt sich offiziell bei gehörlosen Menschen für das lange bestehende Verbot der Gebärdensprache an Schulen und den Zwang zur Lautsprache, letzteres oft mit Gewalt durchgesetzt – teils noch bis in die 1990er‑Jahre.

Ich habe die Debatte im Livestream mit Deutscher Gebärdensprache und Untertiteln mitverfolgt. Es war bewegend zu sehen, wie ernst die Bürgerschaft das Thema nimmt, und wie respektvoll die politischen Vertreter:innen mit den Berichten und Forderungen der Betroffenen umgingen.

Mit breiter parteiübergreifender Mehrheit (SPD, CDU, Grüne, Linke) wurde ein Antrag beschlossen, der weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen soll.

1. Offizielle Entschuldigung und Anerkennung des Leids

In einer Anhörung des Sozialausschusses konnten Betroffene ihre Erfahrungen schildern – und die Bürgerschaft nutzte diesen öffentlichen Raum, um um Verzeihung zu bitten. Abgeordnete wie Regina Jäck (SPD) und Kathrin Warnecke (Grüne) betonten, dass Sprache Identität ist und das Verbot den Bildungsweg von Gehörlosen massiv beeinträchtigt hat.

2. Wissenschaftliche Aufarbeitung unter Einbezug von Deaf‑Studies

Der Antrag fordert eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Schulgeschichte gehörtloser Menschen, bei der Betroffene und Forschungsperspektiven aus den Deaf‑Studies aktiv beteiligt werden. Ziel ist ein besseres Verständnis der strukturellen Gewalt – physisch wie psychisch – und ihrer langfristigen Folgen.

3. Entschädigungsfonds auf Bundesebene

Hamburg fordert auf Bundesebene einen Entschädigungsfonds für heute erwachsene Menschen, die durch das Gebärdensprachverbot großen Schaden erlitten haben. Der Senat will sich dort aktiv dafür einsetzen.

4. Niedrigschwellige und inklusive Hilfeleistungen

Der Antrag empfiehlt dem Senat, landesrechtlich zu prüfen, wie Leistungen der Eingliederungshilfe für gehörlose Menschen erleichtert und zugänglicher gemacht werden können. Ziel ist es, bürokratische Hürden abzubauen, damit Unterstützung direkt und unkompliziert ankommt.


Warum das Thema jetzt so relevant ist

  • Die Erkenntnis, dass das Verbot der Gebärdensprache eine kulturelle und individuelle Gewalt darstellte, wirkt bis heute nach.

  • Die Entscheidung ist ein bedeutender Meilenstein für Inklusion und Anerkennung gehörloser Menschen in Hamburg.

  • Sie formuliert einen konkreten politischen Willen – mit Entschädigung, Aufarbeitung und besseren Hilfen.

Ausblick

Nun liegt der Ball beim Senat: Er soll Konzepte für niedrigschwellige Hilfen entwickeln und die Aufarbeitung anstoßen. Zudem prüft er, wie sich Hamburg im Bund für den Entschädigungsfonds starkmachen kann. Das Vorbild von Hamburg könnte auch anderen Bundesländern als Impuls dienen.


Fazit für Vocatio‑Leser:innen

Hamburg unternimmt einen bedeutsamen Schritt in Richtung Gerechtigkeit für gehörlose Menschen – und reflektiert gesellschaftliche Verantwortung. Die Prozesse zur Aufarbeitung, Entschädigung und zur inklusiven Hilfe stehen am Anfang. Für professionelle Sozialarbeit und Betroffene eröffnen sich Chancen, gesteigerte Barrierefreiheit, Anerkennung und Selbstbestimmung gemeinsam zu gestalten.


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