Ableismus – das ist die oft unbewusste Annahme, dass Menschen ohne Behinderung „normal“ und alle anderen „abweichend“, „minderwertig“ oder „bemitleidenswert“ seien. Es ist eine Form von Diskriminierung, die sich nicht nur im Verhalten anderer zeigt, sondern auch in Sprache, Erwartungen, Institutionen – und manchmal sogar im Selbstbild von Betroffenen.
„Schlappohren“, „kaputte Ohren“, „taube Nuss“ – viele Menschen mit Hörbehinderung hören solche (und ähnliche) Sprüche nicht nur von anderen. Oft sagen sie sie selbst – über sich. Was nach flapsigem Humor klingt, ist häufig ein Ausdruck von internalisiertem Ableismus – also der Übernahme diskriminierender Denkweisen gegen sich selbst.
Doch warum ist das so? Und was sagt die UN-Behindertenrechtskonvention eigentlich zur gesellschaftlichen Haltung gegenüber Menschen mit Hörbehinderung?
Ableismus – die unsichtbare Norm
Ableismus bezeichnet die gesellschaftliche Vorstellung, dass nur bestimmte Körper und Sinne „normal“, „gesund“ oder „leistungsfähig“ seien – und alles, was davon abweicht, als defizitär, unvollständig oder bemitleidenswert gilt. Diese Haltung ist tief in Sprache, Medizin, Bildung, Medien und Alltagskultur eingebettet.
Wer schlecht oder gar nicht hört, wird in dieser Logik als fehlerhaft wahrgenommen. Das zeigt sich in kleinen Bemerkungen wie „du hörst auch nur das, was Du hören willst“ oder im reflexhaften Bedauern: „Ach, du Arme*r!“. Es zeigt sich aber auch in der Erwartung, dass Hörbehinderte sich anpassen müssen – mit Technik, Lippenlesen, Sprechtraining – anstatt dass Gesellschaft barrierefrei wird.
Hörbehinderung = defizitär?
Viele Menschen wachsen mit der Vorstellung auf, ihre Hörbehinderung sei ein Mangel, den es zu beheben, zu kompensieren oder zu verstecken gilt. Aus „Ich bin anders“ wird „Ich bin weniger wert“. So entstehen Sprüche wie „Ich hab halt Schlappohren“, „Ich hör nur, was ich will – oder gar nix“ oder „Taube Nuss“.
Was auf den ersten Blick nach Selbstironie aussieht, ist oft Selbstschutz – eine Strategie, um sich in einer ableistischen Welt weniger verletzlich zu zeigen. Aber: Wer sich selbst ständig abwertet, macht sich klein – und reproduziert die Norm, dass nur hörende Menschen „richtig“ sind.
Was die UN-BRK sagt
Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die Deutschland 2009 ratifiziert hat, stellt klar:
Behinderung ist kein individueller Mangel, sondern das Ergebnis gesellschaftlicher Barrieren. Artikel 1 betont das Ziel der Konvention: die „volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft“.
Konkret bedeutet das für Menschen mit Hörbehinderung:
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Zugang zu Information und Kommunikation, auch in Deutscher Gebärdensprache, mit Untertiteln, Schriftsprachdolmetschen, Induktionsschleifen etc.
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Wahlfreiheit, ob und wie jemand Hilfsmittel nutzen möchte.
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Wertschätzung unterschiedlicher Ausdrucksformen, auch wenn sie von der hörenden Norm abweichen.
Kurz: Die Konvention erkennt Hörbehinderung als gleichberechtigte menschliche Vielfalt an – nicht als Defizit, das korrigiert werden muss.
Warum diskriminierungsfreie Sprache wichtig ist
Wenn wir Hörbehinderung immer mit Begriffen wie „Leiden“, „Schaden“, „Behinderung“ oder „Defizit“ beschreiben, verfestigen wir eine ableistische Weltsicht. Begriffe wie „Schlappohren“ oder „kaputt“ mögen ironisch gemeint sein – sie machen aber deutlich, wie sehr sich manche Betroffene von der eigenen Hörweise entfremdet fühlen.
Eine diskriminierungsfreie Sprache bedeutet:
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die Hörweise als eine mögliche Variante des Menschseins anzuerkennen,
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Hörbehinderung nicht als Defizit, sondern als Teil einer vielfältigen menschlichen Erfahrung zu sehen,
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und vor allem: niemanden für seine Sinneswahrnehmung abzuwerten – auch sich selbst nicht.
Fazit: Raus aus dem inneren Ableismus
Wer über seine eigenen „doofen Ohren“ spottet, ist kein schlechter Mensch. Aber vielleicht ein Mensch, der in einer Welt lebt, die Hörbehinderung ständig abwertet. Die gute Nachricht: Das lässt sich ändern.
Ableismus beginnt im Kopf – und endet auch dort. In unseren Gedanken, unseren Worten, unseren politischen Entscheidungen.
Die UN-BRK gibt uns das Werkzeug. Jetzt liegt es an uns, Barrieren zu benennen – und abzubauen. Auch die im eigenen Denken.